Mit dem Handpeilkompass nach England
„Wärst Du bereit als Schiffsführer mit meiner Contest 28 und mir nach England zu segeln?“ lautete letztes Jahr die Frage von Thomas. Thomas hat sich eine Contest 28 Baujahr 1980 zugelegt und segelt diese erfolgreich und mit viel Freude auf dem IJsselmeer. Sein Wunsch ist es unter Anleitung eines erfahrenen Schiffsführer Erfahrungen auf der Nordsee zu erwerben und vor allem nach England zu segeln.
Neben der Törnplanung wird die Ausrüstung im Detail besprochen. Insbesondere die Sicherheitsausrüstung muss noch ergänzt werden. So werden Rettungsinsel, Seenotsignalmittel und Strecktaue angeschafft. Ein hochwertiger B&G Kartenplotter ist bereits an Bord und wird ergänzt um AIS. Alle ausrüstungspflichtigen Schiffe sind bereits seit Jahren mit AIS (Automatic Identification System) ausgestattet. Yachten werden zunehmend ebenfalls auf freiwilliger Basis mit zumindest einem passiven AIS ausgerüstet. Das erlaubt auch ohne Radar Schiffe mit einem aktiven AIS zweifelsfrei auf dem Kartenplotter zu erkennen und bei Bedarf Ausweichmanöver einzuleiten oder auch einfach nur gezielt Kontakt mit der in der Nähe befindlichen Berufsschifffahrt aufzunehmen.
Am 22.06 fahren wir, Thomas und ich, abends nach Warns zum Liegeplatz der Sunflower, der Contest 28. Die Sunflower macht trotz ihres Alters einen sehr gepflegten und äußerst soliden und sicheren Eindruck. Morgen wollen wir früh los und gehen deshalb zeitig in die Koje.
23.06.2016
Für heute sind leider wieder heftige Regenschauer angesagt. Nachts hat es bereits ordentlich geregnet.
Macht nichts – nach dem Frühstück gehen wir unsere geplante Route durch und prüfen die Ausrüstung. Alles prima oder vielleicht doch eher fast alles. Der Skipper mag es kaum glauben. Als Steuerkompass kommt ein Handpeilkompass mit Halterung am Schott zum Einsatz. Hätte ich einen richtigen Steuerkompass bei einer Segelyacht für das IJsselmeer und das Wattenmeer vielleicht doch nicht voraussetzen dürfen?
Nun gut. Da der Handpeilkompass in seiner Halterung am Schott für den Steuermann gut zu sehen ist, legen wir erst einmal ab.
Wir verlassen Warns und erreichen kurze Zeit später die Johan-Friso-Sluis. Bereits bei unserer Annäherung öffnen sich Brücke und Schleusentore. Nach der Schleusung setzen wir Segel und nehmen Kurs Richtung Den Oever.
Sunflower segelt ausgezeichnet. Bereits bei 2 bis 3 Windstärken erreichen wir 5 Knoten Fahrt über Grund. Die Wolken über uns wirken beeindruckend und zeitweise sogar etwas bedrohlich. Immer wieder ist das Grollen von Gewitter zu hören. Wenig später lässt der Wind nach und ergiebiger Regen setzt ein. Irgendwann haben wir genug und starten den Motor um den verbleibene Strecke zur Seeschleuse zurück zulegen. Kaum haben wir im Vorhafen der Stevinsluis festgemacht lässt der Regen deutlich nach.
Eine halbe Stunde später öffnet sich die Schleuse. Nachdem alle Schiffe Richtung IJsselmeer die Schleuse verlassen haben, fahren wir mit mehreren anderen Booten in die Schleusenkammer ein. Nach der Schleusung geht es zur Drehbrücke die sich für einige wenige Freizeitboote öffnet. Auf der Autobahn pausiert derweil der Verkehr. Auf deutschen Autobahnen schwerlich vorstellbar.
Jetzt sind wir im Wattenmeer. Endlich auf See! Anfänglich haben wir noch etwas Gegenstrom. Dann schiebt uns der mächtige Gezeitenstrom an Den Helder vorbei durch das Schulpengat auf die Nordsee hinaus. Zeitweise machen wir gute 8 Knoten über Grund. Einige Stunden später passieren wir die Bohrinseln Q4a und Q4b und befinden uns wenig später in der Nordostwärts gehenden Lane des Verkehrstrennungsgebiets. Es ist einiges los. Neben einigen Frachtschiffen befindet sich auch ein Kreuzfahrtschiff auf der Nordöstlichen Route. In der Trennzone schläft der Wind ein.
Dann halt unter Motor weiter. Der Yanmar Diesel lässt sich jedoch nicht zum Leben erwecken. Die Starterbatterie ist leer. Offensichtlich haben wir ein Problem mit der Lichtmaschine. Auch die Servicebatterie hat eine bedenklich niedrige Spannung von lediglich 11,5 Volt. Gleichwohl reicht die Power der Servicebatterie um die Maschine zum Leben zu erwecken.
Nach etwas Suchen und Nachdenken ist der Fehler gefunden. Ein Kabel für die Lichtmaschine hat sich gelöst. Jetzt haben wir wieder eine solide Ladespannung von 13,5 Volt und können unsere Reise in die Nacht beruhigt fortsetzen.
Nachts kommt wieder Wind auf und bei klarem Himmel ist es einfach wunderbares Segeln. Über uns Sternenzelt und Mond.
Gegen 09.00 Uhr befinden wir uns laut Seekarte in englischen Gewässern. Thomas holt die niederländische Gastlandflagge und setzt die extra für diesen Törn erworbene englische Flagge.
Am Nachmittag kommt die englische Küste in Sicht. Einige Stunden später stehen wir in der Nähe von Lowestoft. Dicht unter Land müssen wir gegen den Nordwärts laufenden Gezeitenstrom anfahren.
Das internationale Hafensignal der Hafeneinfahrt zeigt grün-weiß-grün. Weiterfahrt nur nach expliziter Aufforderung durch die Hafenbehörden gestattet. Thomas meldet uns bei Lowestoft Port Control an und wir bekommen umgehend die Genehmigung einzulaufen.
Nach 38 Stunden Fahrt machen wir in der Marina des Royal Norfolk & Suffolk Yacht Club fest. Wir sind beide richtig glücklich diese Überfahrt mit guter Seemannschaft bestens bewältig zu haben.
Zur Belohnung gönnen wir uns im Yacht Club Fish&Chips und ein Bier.
Nach dem reichhaltigen Essen wollen wir die Uferpromenade von Lowestoft besichtigen. Ein gewaltiger Schauer überzeugt uns dann doch die wenigen Meter zur Sunflower im Spring zurückzulegen und den Spaziergang zu vertagen.
25.06.2016
Wir haben strahlenden Sonnenschein! Nach einem ausgiebigen Frühstück erkunden wir bei dem tollen Wetter Lowestoft.
Gegen Mittag geht es weiter. Bei Flaute motoren wir gut erholt aus dem Hafen hinaus auf die offene See. Wenige Stunden später kommt wieder Wind auf. Das Großsegel ist ruckzuck gesetzt. Lediglich die Rollfock will sich nicht überreden lassen. Händisches Abwickeln und Bergen des Segels ist angesagt. In der Tat kann das obere Lager der Rollanlage etwas Fett vertragen. Wenig später funktioniert der Rollmechanismus wie geschmiert.
Für den Rückweg haben wir den Nordseekanal vorgesehen und segeln reinen Ostkurs.
27.06.2016
Gegen 11.30 Uhr befinden wir uns vor den beeindruckenden Wellenbrechern von IJmuiden. Wenig später geht es durch die Seeschleuse in den Nordseekanal vorbei an Amsterdam durch die Oranjeschleusen und die Schellingwouder Brücke weiter in das Markermeer. Ein angenehmer Wind schiebt uns gen Norden. Bei Enkhuizen geht es noch einmal durch eine Schleuse und dann nach Stavoren. Wir machen um 21.30 Uhr im Vorhafen in der Nähe Johan-Friso Schleuse fest.
27.06.2016
Am nächsten Morgen geht es durch die Schleuse zurück nach Warns. Nachdem Aufräumen der Sunflower geht es wieder zurück nach Deutschland. Ein intensiver, schöner und erfolgreicher Törn ist zu Ende.